Wir wohnen ja nun also in der berühmten Messara-Ebene, deren westlicher Ausläufer an das Libysche Meer grenzt. Nordöstlich und südlich wird die Messara von ziemlich hohen Bergen eingerahmt, was bedeutet, dass von Osten nach Westen die Messara einigermaßen eben ist – woher sonst hätte sie ihren Namen. Heißt auch: Man müsste in der Messara-Ebene von Ost nach West (von Kapariana, unserem jetzigen Zuhause, nach Sivas, unserem künftigen Zuhause) und von West nach Ost (von Sivas aus wieder zurück) unbehindert Rad fahren können, fast so wie irgendwo in Holland, keinesfalls so, wie im Eigenthal seinerzeit – da ging’s irgendwann ja immer steil hoch.
Auf unseren ersten Fahrradausflug durch die Messara hatten wir uns schon vor unserem Wegzug aus dem Eigenthal gefreut. Unsere Eigenthal-tauglichen Mountainbikes müssten für die schlecht oder gar nicht asphaltierten, steinigen und sandigen Straßen und Wege kreuz und quer durch die Olivenhaine in der Messara ideal sein. Vorgestern Sonntag haben wir dann unsere erste kleine Radtour gemacht. Eben: kreuz und quer durch die Olivenhaine, so ungefähr in Richtung von unserem Grundstück in Sivas. In unserem künftigen Nachbardorf gönnen wir uns nach einem Steilanstieg (unser Grundstück liegt halt am Rande des oben erwähnten, die Messara im Süden begrenzenden Gebirgszugs) eine kleine Pause bei Marcos (Marcos hat eine Ouzeri). Auf der Weiterfahrt dann passiert es: Ein Nagel bohrt sich in den hinteren Reifen von Martins Fahrrad, der Reifen ist ganz schnell platt. Flickzeug haben wir nicht mit. Was tun? Option 1: Wir spazieren nach Hause und schieben die Fahrräder (Schieben mit plattem Reifen ist mühsam, wir bräuchten ungefähr drei Stunden). Option 2: Ich radle mit meinem heilen Fahrrad nach Hause, hole das Auto, fahre zurück und hole Martin und sein Fahrrad ab (eigentlich naheliegend). Option 3: Martin radelt mit meinem heilen Fahrrad nach Hause, holt das Auto, fährt zurück und holt mich und sein Fahrrad ab. Martin plädiert für Option 3, nicht nur, weil er tendenziell schneller Rad fährt als ich, sondern weil er befürchtet, dass ich, beim fröhlichen Irgendwie-kreuz-und-quer-durch-die-Olivenhaine-Fahren zwar irgendwann ebenso fröhlich ankommen würde, bloß vielleicht nicht in Kapariana, sondern in irgendeinem anderen Dorf. Was soll ich sagen: Er hat Recht, denn für mich ist der Weg das Ziel, und geographisch orientiere ich mich eher gefühlsmäßig. Ich bin also auch für Option 3 und setze mich sehr vergnügt auf ein Mäuerchen unter eine Platane, an der Wegkreuzung beim plätschernden Dorfbrunnen von Kamilari. Ich stelle mich auf eine sehr entspannte Zeit des Wartens ein, denn am Nachmittag ist hier keiner, und die gegenüberliegende Taverne öffnet erst am Abend.
Von wegen „am Nachmittag ist hier keiner“: Als erste hält eine ältere Dame auf einem uralten roten Trecker mit Anhänger beim Dorfbrunnen. Sie füllt ihre Wasserflasche, sieht das Fahrrad mit dem platten Reifen und bietet mir an, mich mitzunehmen. Sie fahre bis Agios Joannis. – „Vielen Dank, ich werde bald abgeholt, ich warte auf meinen Mann.“ Schade eigentlich. Das wäre bestimmt eine sehr vergnügte Holperfahrt geworden, und ich hätte mein Kretisch-Verstehen trainieren können. Als nächstes kommt der Wirt von der Taverne. Er hat in seinem Garten gewerkelt, das Fahrrad mit dem platten Reifen gesehen, nun bringt er mir aus seinem Garten zwei frisch gepflückte Birnen. Ich könnte ewig hier unter diesem Baum sitzen und warten, denn nirgendwo ist Warten schöner als auf Kreta! Gefühlt dauert es deshalb gar nicht lange, bis Martin mich und sein Fahrrad abholt und wir nach Hause fahren.
Übrigens: Das Fahrrad ist schon wieder geflickt; dreihundert Meter von unserem Haus entfernt ist ein Fahrradhändler, der einfach alles hat, was man für’s Fahrrad so braucht. Künftig werden wir mit Ersatz-Schlauch unterwegs sein. Künftig: Vielleicht schon heute Abend, denn Rad fahren in der Messara ist einfach wunderschön.
Comentários