1. Kapitel
Ob der Begriff „Olivenernte“ für das, was wir auf unserem Grundstück tun, richtig gewählt ist? – Madeleine ist heute in das Olivenerntefachgeschäft in Kapariana gegangen und hat mutig auf griechisch nach Säcken gefragt, in denen man Oliven dann sammeln und aufbewahren kann. Solche Säcke gibt es natürlich, es gibt sie in verschiedenen Größen und in unterschiedlichen Materialien. Madeleine hat sich für ein attraktives Modell entschieden. Die Olivenerntenfachgeschäftsverkäuferin hat Madeleine gefragt, wie viele Säcke sie denn benötige. Eigentlich wollten wir einen einzigen Sack erwerben, aber Madeleine hat sich bei dieser Frage gedacht, es sei vielleicht höflicher, gleich zwei Säcke zu kaufen, auch wenn das in Anbetracht unseres zu erwartenden Ertrags ein bisschen vermessen scheint. Also hat sie zwei Säcke verlangt und nach dem Preis gefragt. Die freundliche Olivenerntenfach-geschäftsverkäuferin hat gelacht und Madeleine gesagt, dass sie ihr zwei Säcke nicht verkauft, sondern sie ihr schenkt…
Dabei sind das zweifellos eine ganze Menge Olivenbäume, die sich auf unserem Grundstück befinden. Über 30 von ihnen sind ziemlich alt, ziemlich groß – und sie tragen dieses Jahr auch ziemlich viele ziemlich große Oliven, finden wir. Außerdem gibt es noch kleinere, jüngere Olivenbäume auf unserem Grundstück, die tragen auch ziemlich viele Oliven, allerdings sind die deutlich kleiner. Zurzeit haben wir dunkel gefärbte Oliven, es gibt hell gefärbte Oliven, es gibt grüne Oliven, es gibt Oliven, die sehen schon geradezu satt aus, wenn sie noch am Baum hängen, manche wirken etwas magerer, angetrocknet, und dann liegen auch schon eine ganze Menge Oliven auf dem Boden. Das war im letzten Jahr ganz anders, da haben wir auf dem gesamten Grundstück nur eine einzige Olive wachsen gesehen, die haben wir jeden Tag betrachtet, aber eines Tages war sie plötzlich verschwunden. Dieses Jahr also sieht das besser aus.
Madeleine hat sich allerhand Informationen über Oliven und Olivenernte besorgt, einige aus dem Internet, einige von Ratgebern vor Ort. Sie weiß jetzt Bescheid, denke ich.
Glücklicherweise ist ja die Olivenernte nicht unbedingt als unsere zukünftige Haupterwerbs-quelle vorgesehen, wir erlauben es uns also, ein bisschen auszuprobieren, wie wir die Oliven zu welchem Zeitpunkt am besten von den Bäumen bekommen und vor allem: Was wir dann eigentlich mit den Oliven machen. Das müssen Erfahrungen gesammelt werden.
Auf unserem Grundstück liegen alte Netze, die man hier unter die Olivenbäume legt. Dann kann man zusehen, wie die Oliven auf die Netze fallen, mit der Zeit, und sie dann von den Netzen einsammeln. - Jedenfalls liegen viele Netze unter vielen alten Olivenbäume in der Nachbarschaft, da sieht zwar niemand dabei zu, wie die Oliven in die Netze fallen, aber unsere Nachbarn kennen das ja schon seit vielen Jahren, da ist das natürlich nicht mehr so aufregend.
Erfreulicherweise haben wir in dieser Woche Besuch von unseren lieben Freundinnen Doris und Therese bekommen, so haben wir zu viert Netze entfalten können, unter unsere Bäume gelegt und sie dann gut mit Steinen befestigt. Das hat erstens Spaß gemacht, schon gar bei 28 Grad im Olivenbaumschatten (Ende Oktober!), zweitens sah das schon ganz gut aus, und wirklich flach liegen solche Netze nämlich auch bei unseren Nachbarn nicht, da haben sie auch Wellen, das macht also gar nichts. Drittens, und das ist am wichtigsten, sind hörbar zwei Oliven von den Bäumen gefallen, während wir noch bei der Arbeit waren, und wir haben sie gleich aufgesammelt.
Auf unserem Grundstück sind die Bäume, denke ich, seit mindestens zehn Jahren nicht mehr für eine Olivenernte gebraucht worden. Sie konnten vor sich hin wachsen, wie sie das wollten, und da sind natürlich nicht nur die Bäume gewachsen, sondern es haben sich auch allerhand andere Gewächse angesiedelt. Da sind unter manchen Olivenbäumen ganze Dickichte von kleinen Nebenolivenbaumsträuchern entstanden, dazu noch allerhand Büsche, die dort, wie ich finde, gar nicht hingehören, weil sie mit Oliven in keiner Weise verwandt zu sein scheinen, obendrein, fühle ich, noch stacheln, den Bäumen, behaupte ich, die Kraft nehmen und, meine ich, vor allem den Blick auf die knorrigen Olivenbaumstämme verhindern.
Unsere Gäste werden, denke ich, später möglicherweise mal die wunderschönen Olivenbäume umarmen wollen, da stören die Strauchdickichte jedenfalls.
Also werden sie nun abgesäbelt.
Wir sind inzwischen gut ausgestattet mit Zangen und Sägen: Und pro Halbtag schaffen wir es inzwischen, einen alten Olivenbaum zu entwirren, zurecht zu schneiden und zu sägen (dickere Hölzer werden übrigens von Seitenzweigen befreit, kleingesägt und zur Verwendung als Grillholz mit nach Kapariana genommen), von Dickichten zu befreien, den Boden zu roden, die Steine zu entfernen, die Netze auszulegen, mit Steinen zu beschweren, noch dazu reife Oliven an den unteren Zweigen abzupflücken, zu sammeln und zu verstauen und zur allfälligen weiteren Verarbeitung mit nach Hause zu nehmen. Und jeden Tag staunen wir auf das Neue: Da kommt doch eine ganze Menge zusammen.
Wenn das alles gut so weiter geht, können wir vielleicht auch noch den zweiten Sack gebrauchen. Daran, ob wir vielleicht sogar noch den Erwerb eines dritten Sacks in Erwägung ziehen, mag ich im Moment noch nicht denken.
2. Kapitel
Ein paar Tage später und um einige Erfahrungen im Olivenernten reicher: Wir sind inzwischen zur Überzeugung gelangt, dass handgepflückte Oliven wertvoller sind als solche, die von den Bäumen geschüttelt, vom Boden aufgelesen, gar von den Bäumen geharkt oder abgesägt werden. Wir müssen ehrlicherweise zugeben, dass wir am schnellsten und besten per Hand pflücken. Die Methode, ein engmaschiges Netz unter einem Olivenbaum zu entfalten und die Oliven von den Bäumen zu schlagen, hat sich als ineffektiv erwiesen:
Da fielen zu wenig Oliven und zu viel kleine Zweige herunter, die man dann beim Aufsammeln ohnehin erst wieder von den Oliven trennen musste. Schlicht zu warten, bis auf ausgebreitete Metallnetze Oliven fallen, mag eine geeignete Methode sein, wenn es mal einen kleinen Sturm gibt, aber nun ist es hier schon seit einiger Zeit beinahe windstill und die Oliven behaupten sich, ohne unsere Einflüsse, fest an ihren Bäumen. Zumindest die unteren Zweige und die mittleren vielleicht auch abzuernten von kleinen und großen Oliven, das geht, finden wir, gar nicht so langsam, man kann jede einzelne Olive betrachten, bekommt ein körperliches Gefühl für den Erntevorgang und, könnte man behaupten, eine persönliche, emotionale Beziehung zu jedem Baum, wenn nicht gar zu jeder Olive. So haben wir für uns persönlich begründet und sozusagen sogar ein bisschen ideologisch untermauert, dass wir von Hand pflücken.
Unser Vermieter hat netterweise angeboten, dass er unsere Ernteerträge zur Ölmühle fahren wird in den den nächsten Tagen, um die Oliven zu pressen. Er hat sich unseren Olivenerntesack schon mal angesehen, fand den noch ein bisschen "mikro", aber wir sollen mal fleißig weiter sammeln, die nächsten Tage, das wird dann schon noch.
3. Kapitel
Wir haben etwas mehr Klarheit und Ordnung in unsere Olivenerntestrategien gebracht. Wir unterscheiden: Es gibt die niedriger gewachsenen Olivenbäume, bei denen die kleinen, schon von außen leicht öligen Oliven mit der Hand von den Zweigen recht schnell abgestreift werden können. Diese Oliven halten sich noch ganz gut an den Bäumen, müssen also nicht unbedingt jetzt und gleich geerntet werden, aber sie wirken sehr gereift und definitiv für Öl bestens geeignet. Dann gibt es die großen Oliven, die an den alten Bäumen hängen: Unter einigen, aber nicht allen dieser Bäume haben wir fixe Netze, eigentlich eher flexible Drahtgitter, ausgelegt und warten weiter geduldig darauf, dass diese Oliven auch auf die Gitter fallen. Das tun sie gelegentlich und jede Tag sammeln wir diese Oliven auf, sie sind dann meistens ziemlich reif, manchmal schon etwas schrumpelig oder auch ölig, auch sie sehen wir für die Herstellung von Olivenöl vor. Wir haben außerdem ein weiches Netz, sechs mal acht Meter groß, das legen wir unter große Bäume ohne Gitternetze aus und
schütteln von unten mit langen Harken die Äste, daraufhin fallen schon mal einige Oliven herunter, die werden dann im Netz zusammengerollt und, ebenfalls für die Olivenpresse, aufgesammelt. Alle diese Olivenöloliven kommen in einen großen Sack. Und dann pflücken wir nach wie vor per Hand, das sind dann meistens die schönsten und größten Oliven, die
wir da sammeln, die werden gleich mit nach Hause genommen und als Ess-Oliven präpariert. Wie Madeleine das macht, das erzählen wir erst, wenn das etwas geworden ist.
Wir geben zu, dass wir die Menge der Oliven, die auf unserem Grundstück heranreift, etwas unterschätzt haben. Tatsächlich. Morgen werden wir tatsächlich gleich mehrere Säcke nachkaufen, um sie ebenfalls zu füllen und später in die Ölmühle zu bringen. So sind wir also zurzeit jeden Tag für einige Stunden auf unserem Grundstück und haben gut mit der Ernte zu tun. Ringsum surren die elektrischen Olivenerntegeräte unserer Nachbarn, es ist gerade viel los auf den Grundstücken ringsum. Wir verstehen, dass die Olivenernte hier üblicherweise eine Familienangelegenheit ist, denn tatsächlich sollten idealerweise kurzfristig für ein paar Tage möglichst viele Menschen zur Verfügung stehen, um alle Oliven abzuernten, bevor sie überreif werden. Die Ernte scheint überall in der Gegend recht reichhaltig auszufallen – die klimatischen Bedingungen waren dieses Jahr anscheinend gut und die Ernte konnte früher beginnen als sonst üblich.
Zurzeit sind die klimatischen Bedingungen auch sehr günstig – für uns beide, bei der Ernte: Die Tagestemperaturen liegen jetzt, Mitte November, so bei 26 Grad, alle paar Tage gibt es mal einen kurzen Regenguss, aber jeden Tag scheint lange die Sonne.
Es ist wunderschön hier, bei uns zuhause, auf Kreta, auf unserem Grundstück.
4. Kapitel
Inzwischen können wir von zumindest einem größeren Olivenbaum behaupten: Der ist abgeerntet. Einzelne Oliven mögen noch irgendwo versteckt hängen, die sollen dann da bleiben und irgendwann abfallen, aber dieser Baum ist eigentlich leer. Bei allen anderen Bäumen sind wir noch mit der Ernte beschäftigt. Nach einem Tag mit heftigen Gewittern und Stürmen und zwei Tagen intensiver Sonnenbestrahlung sind zahlreiche Oliven von den Bäumen gefallen, glücklicherweise viele von ihnen auch auf die ausgebreiteten Netze, diese Oliven müssen nun aufgesammelt werden. Die an den Bäumen verbliebenen Oliven haben eine glänzende Schwärze bekommen und sind von öliger Süffigkeit; sie wirken zweifelsfrei reif und fallen schon von den Bäumen, wenn man sie nur freundlich ansieht. Die Sache eilt also. Wir haben inzwischen ein ganzes 10er-Set an Olivensäcken eingekauft, fünf davon sind schon halb gefüllt. Man muss dazu sagen, dass die Säcke bei unserer Art zu ernten gar nicht ganz gefüllt werden könnten, dann würden sie zu schwer, wären nicht mehr tragbar, mutmasslich könnten sogar die Säcke reißen. Bei denjenigen unserer Nachbarn, die ihre Olivenbäume mit Maschinenhilfe abernten, sind viele Blätter und ganze Zweige mit in den Säcken, das macht natürlich einen vollen Sack viel leichter als bei uns einen halbvollen Sack, der aber dafür nur Oliven und Oliven und nichts anderes beinhaltet.
Was also die großen Oliven von den großen Olivenbäumen betrifft: Die werden dann wohl in den nächsten Tagen, sofern wir ihrer habhaft werden können, in den Säcken sein, und dann müssen wir uns dem nächsten Abenteuer zuwenden: Dem Transport und der Verarbeitung in der Mühle. Madeleine erlernt schon jeden Abend das entsprechende Oliven-Fachvokabular, damit sollten wir unsere Oliven dann durch die Mühle bringen.
5. Kapitel
Die Säcke über das Gelände bis zu unserem Auto zu transportieren: Das war nicht so ganz einfach. Aber das war auch der schwierigste Teil unserer heutigen Aufgabe. An der Mühle von Sivas hat sich niemand darüber amüsiert, dass wir mit unseren lächerlichen sieben Olivensäcken da angekommen sind, wo doch überladene PickUps sonst tonnenweise Oliven anschleppen. Der freundliche Olivenmühlenchef hat beim Abladen geholfen, sich als unser zukünftiger Nachbar in Sivas vorgestellt, dann haben wir uns mal alle zusammen darüber gefreut, dass wir fast am selben Platz wohnen demnächst, unsere Säcke stehen da nun in der "ökologischen Mühle", werden irgendwann ökologisch zerquetscht – und morgen schon können wir unser Öl abholen, in Leihbehältern; zuhause können wir dann das Öl in eigene Flaschen abfüllen. Wir sind sehr gespannt auf das Ergebnis.
6. Kapitel
Welche Freude! Unser eigenes Olivenöl ist da! Und wir sind begeistert von dem Ergebnis!
Wir hatten uns das vorher schon ausgemalt, wie das wohl sein könnte, wenn wir heute bei der Olivenmühle unweit von Sivas unser Olivenöl abholen. Vielleicht würde der freundliche Olivenmühlenchef uns in einen Nebenraum bitten, um uns dann mitzuteilen, dass sich aus unseren Oliven leider gar kein Öl hätte pressen lassen, tut ihm Leid. Vielleicht würde uns die Polizei erwarten, weil wir aus Versehen irgendwelche giftige Beeren in die Oliven gemischt und die gesamte Ernte aller Bauern von Sivas damit verdorben hätten. Vielleicht würden uns alle Olivenbauern auslachen, wenn wir mit einer großzügig geschenkten Literflasche Öl von dannen ziehen müssten. - Aber dann ist es doch ganz anders gekommen. Glücklicherweise.
Zunächst haben wir bei einem Olivenbauernkollegen zugesehen, dessen Oliven gerade in die Mühle geschüttet wurden. Da müssen wir schon sagen: Unsere Ernte sah ja besser aus. Bei uns gab es keine Zweige, keine Blätter, die man erst mechanisch herausschütteln musste: Wir haben hier pure Oliven geliefert, eben wirklich erstklassige Ware, handsortiert und ausgewählt. Dann wurden wir tatsächlich in das Haus geholt. Und es kamen zwei (zwei!) Männer aus dem Vorratsraum, die brauchte es nämlich, um unsere schwere Olivenölkanne zu tragen und zu unserem Auto zu bringen: 42 Liter Olivenöl aus unser Erstlieferung! Die beiden Männer haben sich dann auch sehr gefreut, als sie gesehen haben, wie wir uns gefreut haben: 42 Liter...! Bezahlt haben wir gar nichts, jedenfalls nicht in Euro, zehn Prozent des Öls behält die Olivenölmühle für sich. Ganz vorsichtig sind wir mit unserem Kanister nach Kapariana gefahren, und haben da unser Öl erst einmal gerochen. Betrachtet. Eine Schale abgefüllt. Was für ein Duft! Welche schöne Farbe! Und wie gut schmeckt das! So
mild! So intensiv! So farbig! So samtig! Unser eigenes Olivenöl, von unserer kleinen Welt, unseren eigenen Olivenbäumen, selbst gesammelt! Das gab ein feines zweites Frühstück.
Wir haben dann überlegt: Wäre unser Olivenöl (kaum vorstellbar) noch besser geworden, wenn wir unsere Oliven sozusagen sortenrein gesammelt hätten? Quasi baumweise? Oder ist das Öl gerade deshalb so gut geworden, weil wir, rein zufällig, eine wunderbare Mischung zusammengesammelt haben?
Wie auch immer: Wir haben dann leere 17-Liter-Kanister gekauft und das Öl abgefüllt. Nun stehen die Kanister im Dunklen in unserer Vorratskammer. Und wir werden begeistert weiter ernten auf unserem Grundstück. Im Bewusstsein: Das ist etwas geworden mit unserer Ernte. Schönstes Olivenöl aus der "kleinen Welt" bei Sivas.
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