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Unsere Vorstadt: Kapariana

Aktualisiert: 25. Nov. 2021

Wir wohnen nun schon ein und ein halbes Jahr in Kapariana, das hatten wir uns auch mal anders vorgestellt: Eigentlich wollten wir schon das Weihnachten 2020 gerne in unserem Haus in der „kleinen Welt“ bei Sivas verbringen, aber daraus ist ja nun nichts geworden. Also leben wir nach wie vor in unserer Wohnung in Kapariana, dem Vorort von Mires, und Mires ist immerhin so eine Art Hauptstadt der Gesamtgemeinde Faistos, Mires ist schon ein unbestreitbar wichtiger Ort, in Bezug auf Kapariana gehen die Meinungen da auseinander.

Wenn wir uns hier irgendwo vorstellen und gefragt werden, wo wir wohnen auf Kreta, dann lautet unsere Antwort also zurzeit noch: In Kapariana. Nicht selten, eigentlich immer sorgt unsere Antwort dann für Erstaunen, fast immer sogar für Heiterkeit. Das hat uns zunächst etwas verunsichert. Aber inzwischen wissen wir schon: Kreterinnen und Kreter, die hier in der Region leben, die gehen davon aus: Wer aus der Schweiz oder aus Deutschland hierher auswandert oder ein Ferienhaus bewohnt, der wohnt in Kamilari. Oder in Pitsidia. Vielleicht auch in Kalamaki, auch Sivas überrascht nicht. Aber Kapariana…! Wer zieht schon nach Kapariana! Nicht mal nach Mires, was auch schon erstaunlich genug wäre. Aber nach Kapariana! Und wir müssen zugeben: Wir kennen auch niemanden, der, auf Zeit oder für immer, aus Mittel- oder Nordeuropa nach Kapariana gezogen ist. Außer uns.


Kapariana, das ist nun unsere Überzeugung, wird eher unterschätzt.


Wenn man aus Heraklion in die Messara-Ebene reist, kommt man zunächst einmal nach Kapariana. Nicht nach Mires. Und Kamilari und Sivas und Kalamaki und Pitsidia sind ohnehin noch weit weg. Ein paar Kilometer, nachdem die Schnellstraße aus Heraklion in die alte Messara-Querstraße mündet, beginnt Kapariana. Es ist typisch für das Understatement von Kapariana, dass man das Ortseingangsschild von Kapariana leicht übersieht. Das tut man. Wir wissen das genau, denn wir haben das ausprobiert: Unseren Sohn Jakob haben wir bei der Ortseinfahrt von Kapariana sogar gleich mehrfach auf das Schild hingewiesen, und er hat das dennoch erst beim vierten Versuch entdeckt. Man mag, hat man einmal das Ortseingangsschild passiert und die dichter stehenden Häuser zur Kenntnis genommen, dann die Ortsmitte von Kapariana erwarten:

Da fährt man eine ganze Weile die Hauptstraße entlang, und wenn man denkt, nun müsste aber doch allmählich wirklich mal der Ortskern von Kapariana kommen und dann feststellt, aha, da ist er, dann ist das schon gar nicht mehr Kapariana, dann ist das schon Mires. Tatsächlich: Einen Ortskern gibt es nicht so wirklich in Kapariana. Kapariana ist eine Siedlung, die sich, man könnte sagen, sanft an die Hauptstraße schmiegt und gelegentliche Auswüchse nach Süden oder Norden hat, nach Norden vor allem im Bereich der Abzweigung der Straße nach Zaros, und da wohnen ja wir.

Mit der Benennung von Straßen oder gar der Vergabe von Hausnummern hat man sich in Kapariana bekanntlich nicht aufgehalten. Post wird in Postfächer zugestellt oder, insofern dem Postboten bekannt, den Empfängern persönlich in die Hand gedrückt. Wenn wir Besucher empfangen, dann geben wir ihnen unsere Telefonnummer und den Hinweis auf den Weg, dass wir an der Straße nach Zaros wohnen, und dann stehen wir auf einen Anruf hin auf dem Balkon und winken, da ist noch niemand vorbeigefahren. Viele kennen aber ohnehin das Haus unserer Vermieter, denn Nikos hat eine weit über die Grenzen der Region

hinaus bekannte Autowerkstatt, die ist zwar ganz woanders in Kapariana, aber natürlich weiß man doch, wo Nikos, der Nikos mit der Autowerkstatt, privat wohnt.

In gewisser Weise wohnen wir vielleicht sogar doch unweit eines Ortsmittelpunktes von Kapariana, können wir behaupten. Wir sehen von unserem Wohnzimmer aus zwischen dem Haus, auf

dessen Dach seltsamerweise sehr viele schrottreife Gokarts stehen, und der Betonruine über den Olivenhain hinweg auf den riesigen Parkplatz des Supermarktes Chalkiadakis, dahinter ist die Grundschule von Kapariana. Die ist zurzeit natürlich geschlossen: Es gibt Anfang Januar einen strikten Lockdown in Griechenland. Hinter der Grundschule

sieht man die erstaunlich große Kirche von Kapariana. Letztere sehen wir nicht nur, die hören wir sozusagen auch häufig, weil die Gottesdienste in der Regel mit Lautsprechern nach draußen übertragen werden. Dann hören wir nicht nur die männlichen Priester singen, sondern ab und zu auch Diakonissinnen, Frauen aktiv in der Gottesdienstgestaltung der Orthodoxen Kirche: Da gibt sich Kapariana modern.

Auf der anderen Seite unserer Wohnung sehen wir über eine öde, vielfältig genutzte Fläche hinweg, auf der Schafe, Hühner, Katzen leben, wir sehen gewissermaßen über die Dächer von Kapariana-West, fast bis nach Mires – und vor allem sehen wir Berge und ahnen das Meer, das wir aber natürlich nicht sehen können.


Kapariana hat gleich drei Supermärkte, zweimal Chalkiadakis, einmal LIDL Hellas, um ein solches Angebot beneidet uns sogar Tympaki.

Es gibt überhaupt viele Möglichkeiten für gezielte und ungezielte Einkäufe, spektakulär ist insbesondere die Vielzahl von Fleischer-Fachgeschäften mit beeindruckender Auswahl, und eines davon hat sogar 7 Tage die Woche und fast 24 Stunden geöffnet, da kann man also auch noch nach Mitternacht Souvlaki und Grillkohle einkaufen. Es gibt gleich vier Tankstellen in Kapariana, wir haben hier unsere Stammtankstelle, bei jedem Tanken gibt es eine nette Unterhaltung, und neulich haben wir nicht mal getankt, da wurden wir sozusagen von der Straße weg auf ein paar Tsikoudia in das Tankstellenbüro eingeladen, eine solche Tankstelle kann man woanders auch erst mal suchen. Ansonsten ist das Geschäftsleben in Kapariana vor allem geprägt von Ausrüstern für die Olivenernte, sonstigen landwirtschaftlichen Fachgeschäften, Unternehmen für Bauzubehör und Elektrofachgeschäften, es gibt also eher weniger solche Läden, bei denen Touristen Halt machen würden, auch deswegen nehmen diese unser Kapariana nicht so wirklich wahr, vermuten wir.

Kapariana war auch mal der Standort einer kretischen Limonadenfabrik, die ist hier nicht mehr in Betrieb, aber wer mal eine größere Anzahl an leeren Getränkekisten von ungewöhnlichen Formaten benötigt, könnte hier mutmaßlich auf den Altbestand zurückgreifen, das dürfte keine Schwierigkeiten geben.


Einen hohen Bekanntheitsgrad hat Kapariana in der Region zweifellos aufgrund seines kulinarischen Angebotes, das hier nur unangemessen verkürzt dargestellt werden kann. Es gibt mehrere TakeAways, zurzeit sind ja wegen des Lockdowns ohnehin alle Restaurants TakeAways.

Eigentlich sitzt man besonders schön in der Taverne La Notte, die einen hübschen Garten eingerichtet hat, bei gutem Wetter und ohne Lockdown ist dort nach 21 Uhr kaum noch ein Platz zu bekommen, denn diese Pizzeria ist weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt und beliebt. Und das völlig zurecht, denn die Gerichte sind lecker und günstig. Es gibt noch eine andere Pizzeria, eine TakeAway-Pizzeria, auch nicht schlecht, aber mit einem Angebot, das uns überfordert: Bestellt man eine Pizza zu zweit, bekommt man eine Pizza und das ist knapp zu wenig. Bestellt man zwei Pizzas, bekommt man, ob man will oder nicht, drei Pizzas, und das sind zu viele Pizzas für zwei Personen.

Durch Kapariana hindurch führen alle Buslinien aus dem mittleren Süden nach Heraklion: Die Busse kommen aus Agia Galini, Matala, Tympaki, Mires. Kapariana hat trotz des recht dichten Busverkehrs nicht eigentlich eine eigene Bushaltestelle, aber natürlich halten die Busse auch hier an; man winkt, dann wissen die Busfahrer Bescheid und stoppen ihre Busse, wir brauchen hier eben gar keine Bushaltestelle.

Kapariana ist auch der Standort eines elektrischen Umspannwerkes: Hier kommen Stromleitungen an, hier verteilen sich die Leitungen über die Ebene. Das Umspannwerk ist ganz in unserer Nähe, das ist nicht unbedingt schön, aber praktisch. Fällt mal der Strom aus, was nicht so selten vorkommt, dann ertönt zwei Sekunden vorher eine Sirene, da bleibt für uns gerade noch Zeit, im Computer die Datei zu speichern, an der wir gerade arbeiten, bevor das System stromlos abstürzt.

Verkehrstechnisch geht es in Kapariana übrigens recht gesittet zu. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die einzige Verkehrsampel der gesamten Region, die sich mal an der Einmündung der Straße nach Zaros befand, bereits vor langer Zeit wieder abgeschaltet wurde. Parken in der dritten Reihe, wie man das aus Mires kennt, kommt hier nicht vor, freie Parkplätze hat es reichlich, was, zugegeben, auch mit einem Mangel an Nachfrage zu tun haben mag. Dass das Leben hier jedoch auch manchmal temperamentvoll sein kann, das kann überprüfen, wer mit viel Geduld auf „Google Street View“ mal die Durchgangsstraße durch Kapariana entlang klickt. Kurz vor der 24-Stunden-Schlachterei kommen dem Google-Auto zwei Motorräder entgegen: Eines passiert das Kamerafahrzeug ordnungsgemäß links, das andere rechts.

Madeleine ist sich sicher, sagt sie: Wohnen wir mal woanders, dann wird sie immer auch gerne noch einmal nach Kapariana zurückkommen. Ich bin mir sicher, das werden wir, nicht nur wegen Pizzen, Baumaterial, sondern vor allem, weil wir hier viele Menschen kennen gelernt haben, die uns lieb geworden sind.


Und abgesehen davon: Kapariana hat Ausbaupotential, wer weiß schon, was hier alles noch entsteht!




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