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Madeleine

Karlsson

Aktualisiert: 25. Nov. 2021


Das ist Karlsson: eine kleine, dünne kretische Straßenkatze. Karlsson hatten wir wenige Tage nach unserer Ankunft in Kapariana kennengelernt, als er sich vom Dachgeschoss über unserer Wohnung in die Tiefe (und damit in den sicheren Tod!) stürzen wollte. Zumindest hatte Karlsson das mit kläglichstem Maunzen und unmissverständlichen Gleich-springe-ich-Bewegungen theatralisch angedeutet: Karlsson war auf dem Dach gefangen und wirkte einigermaßen verzweifelt.

Selbstverständlich wollten wir dieses Kätzchen retten, denn auf dem Dach wäre es zweifellos verdurstet. Die Zeit drängte, Karlsson musste irgendwie da runter. Wir versuchten es geduldig mit Locken, bald weniger geduldig mit Verscheuchen, aber Karlsson war nicht nur sehr verzweifelt, sondern ebenso wild und scheu. Kam man ihm zu nahe, haute er ab, leider immer in die falsche Richtung. Erfolgreich waren wir schließlich mit einem ausgeklügelten Plan: Wir bahnten Karlsson einen Fluchtweg, den er selber würde finden müßen, einen Fluchtweg, auf dem wir ihn Schritt für Schritt vom Dachgeschoss weg in die Freiheit lockten, ohne dabei selber in der Nähe zu sein. Unser Plan ging auf: Karlsson fand den Weg in die Freiheit.

Tags darauf saß er morgens vor unserer Wohnungstür und miaute. Wir öffneten, Karlsson kuckte uns kurz an, marschierte schnurstracks an uns vorbei durch die Wohnung und raus auf unsere Terrasse. Dort verschwand er im Blätterdickicht eines Baums. Weg war er. Bis zum Abend. Dann kam er vorsichtig wieder an: ausgehungert, durstig. Klar, dass dieser nur wenige Wochen alten Katze mit wenig Futter und vor allem mit viel Wasser geholfen werden musste, sollte sie doch ein bisschen zu Kräften kommen, damit sie sich fortan, wie alle kretischen wild lebenden Katzen, ihr Überleben im Müll wühlend und Zickaden jagend sichern könnte. Wir versorgten Karlsson also mit Wasser und wenig Spezial-Nahrung für kleine Katzen; es sollte eine Art Starthilfe für sein neues Leben sein. Karlsson stürzte sich auf Wasser und Futter, aber nur, wenn wir uns ins angemessener Entfernung aufhielten. Bis an jenem Abend. Es war der dritte Abend nach seiner Rettung. Karlsson holte sich seine kleine Futterration ab, und dann schmiss er sich plötzlich an uns ran, fing an zu schnurren, folgte uns auf Schritt und Tritt, wollte gestreichelt und gekrault werden. Wir boten ihm ein Tuch an, auf das er sich legen konnte, wenn er denn wollte. Er wollte. Die Nacht verbrachte er nicht mit den viel größeren Katzen irgendwo zwischen den Häusern, sondern schlief auf unserer Terrasse mit der Gewähr, dass wir schon dafür sorgen würden, dass keine anderen Katzen sich hier tummeln würden (wir haben eine fette rote und eine riesige schwarzweiss gescheckte Katze weggescheucht).

Am anderen Morgen war Karlsson verschwunden. Und blieb weg. Am einen Abend und am darauf folgenden auch. Und auch am dritten. Wir fürchteten einerseits, dass er, so klein er noch war, es vielleicht doch nicht geschafft haben könnte, dass er doch zu lange ohne Wasser gewesen war und deshalb schon „Schaden genommen“ hatte, und wir hofften anderseits, dass Karlsson einfach Gefallen gefunden hatte am Leben einer von Menschen gänzlich unabhängigen, freien kretischen Straßenkatze.

Fünf Tage später kam Karlsson wieder an. Ein kleines, dünnes Gerippe, das Fell struppig, die Augen verklebt, hinkend, mit eitriger Wunde an der einen Pfote. Von da an fand Karlsson offenbar, dass wir als seine Lebensretter eine gewisse Verantwortung ihm gegenüber hätten. Er ließ es zu, dass wir ihn pflegten, und mit Striegeln und Streicheln brachten wir ihn schließlich dazu, dass er sich selber, wie es sich für eine Katze gehört, anfing zu putzen und seine Wunde leckte und richtig gesund und kräftig wurde. - Karlsson besucht uns regelmäßig. Er hat sein persönliches Tuch auf unserer Terrasse, da legt er sich drauf und schläft, wenn er von anderen Katzen unbehelligt und in unserer Nähe sein möchte. Es sind einige Wochen vergangen, und er ist ordentlich gewachsen. Karlsson ist noch immer ziemlich dünn (das gehört sich so für eine kretische Katze), aber sein Fell ist sauber und die Augen sind klar, und er hinkt auch nicht mehr. Karlsson ist nun eine gepflegte, kretische Vorstadt-Straßen-Katze – mit Familienanschluss.


PS: Inzwischen haben wir festgestellt, dass Karlsson eine „Sie“ ist.



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