Tag 0
Heute beginnt unser Umzug. Morgen beginnt unser Umzug. Morgen beginnt unser erster von vier Umzügen aus der Innerschweiz nach Kreta. Heute haben wir Kleinbus und Anhänger gepackt: Im schönsten Frühlingswetter und mit bester Aussicht von unserer Terrasse auf
das Pilatus-Massiv.
Manche unserer Freunde und Bekannte wollen immer wieder wissen: Fällt euch das nicht schwer – diese wunderschöne Landschaft zu verlassen, aus eurem großartigen Haus auszuziehen? Und es gibt Nachbarn, die sagen, wie fürchterlich sie es finden, dass wir von hier fortziehen. Ja, tatsächlich sind es vor allem unsere Nachbarn, die uns sicherlich fehlen werden, andererseits sind wir uns auch ganz sicher, dass wir uns bald wiedersehen. Mit Freude haben wir gesehen, dass sich manche Nachbarn und Freunde schon das Weihnachten 2020 in ihre Terminkalender geschrieben haben, das sie nämlich mit uns auf Kreta verbringen wollen. Aber zuvor werden auch wir wieder aus Kreta in die Innerschweiz an unseren alten Wohnort reisen, spätestens wenn das traditionelle Advents-Glühwein-Straßenfest stattfindet, zum Beispiel.
Ja: Wir haben hier das Glück gehabt, in unserem Traumhaus in wunderbaren Umgebung mit so lieben Menschen um uns zu leben. Aber nun wollen wir uns wieder ein Traumhaus in einer wunderbaren Umgebung mit lieben Menschen bauen. Es ist kein trauriger Abschied von hier, sondern eine Abreise, bei der wir froh darüber sind, dass wir noch das Glück erfahren dürfen, etwas so grundlegend Neues zu erleben. Dass wir uns ganz andersartigen spannenden Herausforderungen zu stellen und unser Leben noch einmal im Miteinander gemeinsam neu einzurichten haben.
Wir erleben etwas.
Heute also ist eigentlich der "Tag 0", und zu unserer Freude und ein bisschen auch zu unserem Erstaunen haben in dem Kleinbus und dem Anhänger mehr Dinge ihren Platz gefunden, als das eigentlich geplant war. So werden wir unser neues Zuhause in Mires sogar mit unserem E-Piano einrichten können - und auch unsere Eiswürfelmaschine kann schon mitreisen!
Morgen früh geht es dann so richtig los: Auf die erste Etappe aus der Innerschweiz nach Ancona. Sozusagen über und durch die Alpen. Wir berichten.
Tag 1
Heute haben wir "den Rubikon überschritten". Heute sind wir über den Rubikon gefahren. Madeleine hat sich daran erinnert, dass dieser Fluss, dieser Rubikon, im allgemeinen Bewusstsein vor allem als Metapher existiert. Metapher wofür? – Ich kannte weder Fluss noch Metapher. Wir haben gleich nachgeschlagen und uns also ins Gedächtnis rufen lassen, dass der Rubikon zur Metapher eigentlich durch Julius Caesar geworden ist, dem die Unabänderlichkeit eines Entscheides eben mit dem Überschreiten jenes Flusses deutlich geworden ist und der somit das Sinn-Sprachbild dafür geschaffen hat, wenn man eine "rote Linie" überschritten hat, über die es kein Zurück mehr gibt. Dass diese Metapher nun auch auf uns angewendet werden könnte, hat uns nur kurz zum schweigenden Nachdenken gebracht. Nur sehr kurz. Für uns ist der Fluss, nicht unbedingt der Rubikon, eigentlich gar
keine "rote Linie", sondern, wenn schon Metapher, dann Sinnbild für eine Ereigniskette, an deren Ende wir mit unserem Projekt glücklich da-sein wollen. Dafür müssen wir keine roten Linien überschreiten und auch nicht gegen den Strom schwimmen. Das wollen wir so, das machen wir so, das entwickelt sich so.
Der Rubikon, also. Vor dessen Überquerung sind wir am frühen Morgen bei schönem Wetter aufgebrochen, haben auch nur dreimal angehalten bis Luzern, um uns zu überzeugen, dass wir zum Beispiel die Gepäckliste für den Zoll nicht vergessen haben. Unspektakulär die Fahrt zum Gotthard und durch den Tunnel hindurch, auf der Südseite dann kühles Regenwetter.
Da lässt sich leicht der Verlockung widerstehen, häufiger auszusteigen, und so ist das eine geruhsame - abgesehen von einer halben Stunde Wartezeit an einer defekten Autobahn-Maut-Kasse -
störungsfreie Fahrt, über die Grenze, um Mailand herum, weiter Richtung Ancona. Zuvor über den Rubikon. Es ist keine rasche Fahrt: Wir halten uns an die 80 km/h, die wir mit unserem Anhänger hier nur fahren dürfen, und überholen so auf der gesamten Fahrt bis Ancona kein einziges Auto. So erreichen wir die Hafenstadt am frühen Abend, parken unser Umzugsgespann in Sichtweise der Überwachungskameras unseres Hotels und machen uns auf den Weg zum Hafen. Nur kurz irritiert uns, dass bei unserer Ankunft "unser" Schiff gerade den Hafen verlässt, genau 22 Stunden vor der von uns geplanten Zeit, aber stellen dann fest: Es ist bloß das Schwesterschiff. Umso entspannter essen wir Pizza, sausen durch den Regen zum Hotel – und erwarten nun gespannt morgen unsere Einschiffung auf die Fähre nach Patras.
Tag 2
Die „Cruise Europe“, unser Fährschiff auf dem Weg von Ancona nach Patras, trägt am Heck noch den Namen ihres ehemaligen Heimathafens aus der Zeit, als sie noch unter griechischer Flagge fuhr: Das „Iraklio“ ist allerdings oberflächlich übermalt worden mit „Palermo“, und an der Längsseite des Schiffe wurde vor das alte „MINOAN LINES“ noch
„GRIMALDI“ gesetzt. In entsprechenden Internet-Foren beklagen Passagiere, dass dieses Schiff, seitdem es unter italienischer Flagge fährt, an Qualität eingebüsst habe: In diesen Reiseberichten gibt so gut wie gar keine zufriedenen Reisenden, dafür Klagen über Zustand, Hygiene, Preise, Ausstattung der Fähre. Entsprechend sind wir eingestellt auf diese Reise und erwarten nicht wirklich viel: Da freuen wir uns dann umso mehr über unsere erstaunlich geräumige Außenkabine vorne auf Deck 9, das Oberdeck mit seiner Bar und überhaupt das riesige Schiff, auf dem man sich verlaufen kann. Zugegeben, die Fähre wirkt erstaunlich alt, schon gar, wenn man bedenkt, dass sie mal erst vor so gerade eben zehn Jahren gebaut wurde. Das Schiff erscheint mit seinen abgewetzten Plüschsesseln und schwerstoffigen Vorhängen vorgestrig, und, ja, so richtig durchgängig sauber ist es auch nicht überall. Aber die „Cruise Europa“ ist ja auch kein Kreuzfahrtschiff, sondern eine Fähre, der Aufenthalt an Bord ist nicht in erster Linie Freizeit- oder Urlaubsvergnügen, sondern dem Zweck des Ankommens untergeordnet. Und dafür fährt es sich hier eigentlich recht angenehm.
Wir sind exakt zwei Stunden zu spät mit der Fähre in Ancona abgefahren, das aber auf die Minute genau. Zuvor auf dem Rundgang durch Ancona haben wir uns gefreut über eine attraktive Hafenstadt, wir haben gestaunt über schöne, großangelegte Plätze, die trotz sonnigem Sonntagswetter leer sind und so gar nicht bewohnt wirken: Das wäre in Griechenland anders, haben wir uns gedacht. Der Weg zur Fähre ist trotz einiger
verwirrlicher Zeichen leicht zu finden gewesen, und wir sind, ohne dass es irgendwelche Probleme bei Zoll und Abfertigung gibt, mit unserem Umzugsgespann in einer Schlange der Fahrzeuge, die auf das verspätete Eintreffen unseres Fährschiffes warten, weit vorne zu stehen gekommen.
Vielleicht ist genau das eher ein Nachteil: Als es dann auf die Fähre geht, werden wir „eingewunken“ und in die tiefsten Tiefen des Schiffsbauchs geleitet, wir ahnen, dass Kleinbus und Anhänger mutmaßlich unter der Wasseroberfläche reisen müssen. Ich hatte gehofft, dass wir einen Parkplatz erhalten, zu dem und von dem aus sich zum einen komplizierte Wendemanöver, zum anderen Rückwärtsfahrten vermeiden lassen.
Mit einer gewissen Spannung sehe ich nun dem Ausschiffen entgegen, denn von diesem Platz aus werde ich sowohl mit dem Anhänger recht weit rückwärts fahren als auch unser Gespann wenden müssen.
Tag 3
Das ist ein akzeptables Fährschiff, die "Cruise Europa". Vielleicht gehören wir zu den wenigen Passagieren, die sich über dieses Schiff nicht beschweren. Wir haben gut geschlafen in unserer Kabine, so gut, dass wir das Frühstück verpasst haben. Aber jetzt bekommen wir auch noch einen Voucher, der zwar nicht unbedingt offiziell aussieht,
aber an der Bar seine Wirkung dennoch hat: Weil das Schiff Verspätung hat, spendiert uns die Reederei nämlich einen kleinen Snack. Und so lassen wir bei Käse-Schinken-Toast und Kaffee die Küste an uns vorbeiziehen und freuen uns darüber, dass wir diese Weg für unsere "erste Auswanderung" gewählt haben. Zwischendurch meldet sich die Reederei gleich noch einmal, dieses Mal per SMS: Unser Fährschiff von Piräus aus in zwei Tagen fährt zwei Stunden früher ab und macht dafür noch einen kleinen Umweg über Chania. Das ist wohl so eine Art Kompensation für unsere Verspätung jetzt, man weiss das nicht.
In Patras erfolgt unser Ausrangieren rückwärts mit Anhänger spektakulär einfach, und ich brauche die gemurmelten Anweisungen des Extra-Anweisers beinahe gar nicht zu verstehen. In Patras werden dann Lenk- und Rangierkünste gleich noch einmal geprüft, weil die Hauptstraße gesperrt ist und uns das Navigationsgerät konsequent über verwinkelte Nebenstraßen zu unserem Hotel schickt, das wir dann gut und fröhlich erreichen. Pünktlich zum Sonnenuntergang. - Wir sind in Griechenland!
Tag 4
Das war eine ferienhafte Zwischenerholung in diesem schönen Hotel in der Nähe von Patras: Nun geht es weiter Richtung Piräus zur nächsten Fähre: Für die ca. 250 Kilometer nehmen wir die noch recht neue Autobahn, und Kleinbus und Anhänger rollen erschütterungsfrei auf dem gebügelten Asphalt. So sind wir schon am Mittag in Piräus und holen uns bei der Fähr-Agentur unsere Bordkarten. Unser Umzugsgespann muss dann vor der Fähre warten, während wir noch einen Stadtrundgang machen.
Während in Ancona vor zwei Tagen das Einschiffen sehr geordnet in klar voneinander getrennten Bahnen verlief, arbeitet man hier in Piräus eher intuitiv. Jedes einzelne Auto, das vorgefahren kommt, wird prüfend angeschaut, und dann entscheidet die Beladungs-Crew anscheinend spontan, ob man auf das Schiff darf oder sich irgendwo auf dem riesigen Parkplatz noch wartend gedulden muss, bevor man sich einer neuen Sichtung unterziehen darf. Unser Gefährt wird gleich mehrfach besichtigt, abgeschätzt, eingestuft – und die Crew-Mitglieder diskutieren untereinander: So richtig einig scheint man sich nicht zu sein, aber dann entscheidet man sich für das Ausprobieren, um offene Fragen anhand der Tatsachen klären zu können. Wir werden zunächst freundlich in das Schiff gewunken und dann zu unserem Entsetzen tiefer in den Schiffsbauch geleitet, dorthin, wo eigentlich nur niedrige PKW und Motorräder stehen. Es sind gleich mehrere Mitarbeiter, die immer wieder gebannt beobachten, wie sich unser Anhänger so gerade eben unter das Dach schiebt: Das hier ist eine Sache von Millimetern. Zwei Einweiser bekommen sich dann sogar noch wegen uns in die Haare, weil die Frage, wie weit wir uns in unserer Parkposition von den Notausgängen entfernt halten müssen, offenbar unterschiedlich bewertet wird. Dann stehen wir. Und machen uns zu Fuß auf den Weg an Deck.
Die "Knossos Palace" ist ein schönes Schiff, das uns gut gefällt. Jetzt, an diesem warmen Frühjahrsabend kann man gut auf dem Oberdeck bei einem griechischen Bier der Abfahrt gelassen entgegen sehen. Die Atmosphäre ist sehr entspannt, und sogar die Anweisung für eine etwaige Evakuierung wirkt irgendwie verspielt, unterhaltsam und fröhlich.
Tag 5
Dann: Am frühen Morgen in Sicht: Kreta. Unsere neue Heimat. Gleich sind wir an unserem Ziel angekommen, und bei einem Espresso betrachten wir die Nordküste, an der wir nun zwischen Chania und Heraklion unterwegs sind.
Die Ausschiffung ist dann die gleiche Millimeterangelegenheit, und dann sind wir auf der Insel, auf dem Weg von Heraklion an die Südküste. Die größte Überraschung der gesamten Reise steht uns allerdings noch bevor – und Süd-Kreta-Experten werden und uns diese Nachricht kaum glauben: Die neue Straße in den Süden, die schon seit vielen Jahren stets kurz vor der Fertigstellung zu stehen schien, an deren dauerhafte Nichtbenutzbarkeit wegen einem fehlenden Bergdurchstich man sich aber hier schon lange gewöhnt hat – diese neue Straße ist nun frisch eröffnet! So bleibt uns und vor allem unserem Umzugsgespann die serpentinenreiche Abfahrt mit ihren zahllosen Schlagloch-Abgründen erspart, und wir gleiten auf frischem Asphalt in sanften Kurven und durch ein paar Tunnel (Tunnel! Tunnel!!) in die Mesara-Ebene. Das ging flott!
Und dann sind wir da: Herzlich begrüsst von unseren Vermietern bei Kaffee und Gebäck. Angekommen. Auf Kreta. In Mires.
Tag Umzug plus 1
Wir haben alle Kisten in die Wohnung getragen, alle mitgenommenen Möbel aufgebaut, einen Kühlschrank angeschafft, alle Schränke von innen geputzt, Schrauben gekauft, uns mit unserer Wirtschaftsberaterin Athina getroffen, die Wohnung eingerichtet mit all dem, was da schon mal mitgekommen ist. Wir sind da. Und gerade deshalb haben wir uns auch Zeit genommen für einen Ausflug auf unser Grundstück, unseren "Hotelbus" sozusagen provisorisch schon mal auf dem späteren Parkplatz von o mikros kosmos abgestellt,
und natürlich waren wir auch an "unserem" Hausstrand, dem Strand von Komos. Da waren ganz schön viele Touristen unterwegs. Aber, hey, wir – wir sind ab sofort nicht mehr bloß in den Ferien hier. Wir wohnen hier.
Es macht Spass zu lesen, wie es euch bei der grossen Überfahrt ergangen ist und was ihr erlebt. Wichtig ist, dass die Waschmaschine (mit Griechenland-Stecker) gut ankommt :-). Passt auf euch auf.