„Bin ich Gott?“, fragt uns dieser Herr hinter seinem Schreibtisch tatsächlich. – Ich muss zugeben, dass ich auf die Idee, es könnte sich bei unserem Gegenüber, dem Leiter der Straßenverkehrsbehörde von Mires, um Gott handeln, von mir aus nicht wirklich gekommen wäre, Verwechslungen schienen mir da nämlich ziemlich ausgeschlossen. Bevor ich über die Frage weiter nachdenken kann, beschwert sich dieser Herr hinter seinem Schreibtisch erklärend auf griechisch: „Alle kommen zu mir und stellen mir Fragen!“. Diese Darstellung hingegen überrascht mich inhaltlich nicht wirklich, denn das scheint mir ein Vorgang, mit dem dieser Beamte bei seiner Berufswahl als Leiter dieser Behörde hätte rechnen müssen: Dass Leute zu ihm kommen und ihm fachliche Fragen stellen.
Auch wir sind mit einem verkehrstechnischen Anliegen hierher in die Straßenverkehrsbehörde gekommen, nämlich unseren aus der Schweiz importierten Anhänger in Griechenland in Verkehr zu setzen. Wir haben den Anhänger für viel Geld hier offiziell eingeführt und verzollt, so, wie kurz zuvor auch unseren Kleinbus. Obwohl wir alle Papiere, die aus der Schweiz, die griechischen, diejenigen der EU, beisammen hatte, war derselbe Beamte damals bei der Inbetriebsetzung des Kleinbusses schon der Auffassung, eine Zulassung könne nicht so einfach geschehen und habe seine Zeit zu brauchen. Er wollte also noch Erkundigungen einziehen, und das hat dann eben gedauert. - Nun also der Anhänger, das kommt ihm wohl doch ein bisschen zu viel vor innerhalb desselben Jahres. Der Leiter der Straßenverkehrsbehörde in Mires lehnt unser Ansinnen auch nicht einfach ab, er lächelt seltsam, man könnte meinen, buddhamäßig, sagt gar nichts mehr, wartet ziemlich lange – und schiebt unsere Dokumente dann wieder über den Tisch zurück zu uns. Wir sollen später mal wiederkommen, sagt er noch, vielleicht im November. Und lächelt auch noch dabei.
Aha. Hier erleben wir also mal diejenige pure Behördenwillkür, vor der uns so viele Menschen hier schon gewarnt haben. Wartet mal ab, hörten wir, Griechen, die sind nicht wirklich alle so freundlich und so hilfsbereit, gerade auf den Behörden werdet ihr in Griechenland allerhand Unerfreuliches erleben können, das glaubt ihr gar nicht, bis ihr das erlebt habt, sagten unsere Freunde. Da gibt es Leute, behaupteten sie, die machen einfach ihren Job nicht.
Und das erleben wir nun also. - Jawohl: Tatsächlich ist diese Sache hier, das kann man gar nicht schönreden, ziemlich ungeheuerlich. Der Anhänger ist nicht mehr in der Schweiz angemeldet, er hat kein Nummernschild, keine Schweizer Versicherung. Der griechische Staat hat über die Zollgebühren sehr viel Geld von uns erhalten – völlig sinnlos, denn dieser Anhänger steht nun auf dem Acker hinter unserem Haus und darf nicht dafür eingesetzt werden, wozu er eigentlich hier ist: Angehängt an unserer Kleinbus durch die Gegend zu fahren. Weil „Gott“ das nicht zulässt.
Das lassen wir uns ja nun nicht gefallen.
Wir erzählen Freunden und Bekannten hier von unserem Erlebnis auf dieser Straßenverkehrsbehörde – aber wir erzählen denen anscheinend nicht viel Neues. Der Leiter des Straßenverkehrsamtes in Mires erfreut sich offenbar im gesamten Bezirk erheblicher Bekanntheit (wobei „erfreut“ in diesem Zusammenhang kein unbedingt zutreffender Begriff ist). Seine Erwähnung verursacht bei manchen heftige Temperamentsausbrüche, da gibt es weitreichende Erfahrungen, haarsträubende Geschichten, und im Nachhinein müssen wir wohl eigentlich froh sein, dass wir es immerhin geschafft haben, schon zwei Autos hier anzumelden – wenn das ja auch nicht so ganz einfach war. Was ist da schon ein Anhänger…!
Es gibt einige Ratschläge von unseren Freunden. Einer bietet an, zum lautstarken Schimpfen mitzukommen und anzudrohen, den Laden zu zerlegen, das hat in seinem Fall schon mal Wirkung gezeigt. Eine andere empfiehlt uns, ein paar Tage vor dem erneuten Vortragen unseres Anliegen Schokolade aus der Schweiz zu verschenken und uns außerdem vollständig dumm zu stellen. Eine dritte erklärt sich bereit, uns ihre Tochter gewissermaßen auszuleihen, deren freundliches und jugendliches Lächeln schon mal bei jenem Herrn genutzt haben soll, um Fahrzeugpapiere ausgehändigt zu bekommen. Eine vierte hat einen Bruder, der da mal ein Praktikum gemacht hat und, indem er die Abläufe kennt, fachliche Unterstützung geben könnte. Und jemand anders mit besonders viel Erfahrung im Umgang mit diesem Herrn empfiehlt, die Behörde in Mires schlicht zu ignorieren und besser nach Heraklion zu fahren, um dort irgendwie weiter zu kommen.
Wir wollen es dennoch zunächst noch einmal selbstständig versuchen. Madeleine bereitet sich vor allem sprachlich noch besser vor: Von einem Freund erhält sie ein gewisses Repertoire an Schimpfwörtern vermittelt, von dessen allzu leichtfertiger Anwendung ihr allerdings abgeraten wird. Die Angebote unserer Freunde haben wir zurückgestellt, kommen aber vielleicht später noch einmal darauf zurück und malen uns schon mal aus, wie das wäre, wenn wir mit sämtlichen dieser Freunde und Bekannten zusammen im Amt in Mires erscheinen.
Solange fahren wir mit unserem Anhänger ohne Nummernschilder, ohne Zulassung, aber mit allen griechischen Zolldokumenten, deutschen Fabrikationsbelegen und inzwischen ungültigen Schweizer Altdokumenten. Und sollten da mal kontrollierende Polizeibeamte etwas dagegen sagen, werden wir auf unsere Erfahrungen mit „Gott“ in der Straßenverkehrsbehörde von Mires verweisen, den kennen die Polizisten von hier bestimmt ja auch und wissen also um die Probleme.
Vielleicht haben sie sogar Tipps für uns, wie wir einen Anhänger in Mires anmelden können.
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